In dunklen Kellern alte Akten sortieren und sich zwischen meterhohen Blätterstapeln der verwaltungstechnischen Arbeit widmen – so manch einer würde sich die Arbeit eines Archivars wahrscheinlich genau so vorstellen. Aber falsch gedacht, bei meinem Besuch im Archiv der Universität Stuttgart habe ich gelernt, welche wichtige Rolle das Archiv bei der Erforschung und Vermittlung der Universitätsgeschichte spielt und wie sich die Archivarbeit im Zuge der Digitalisierung gewandelt hat.
Aufbewahren und erinnern statt wegwerfen
Meine Recherchearbeit führt mich heute in das Archiv der Universität Stuttgart, das in der Geschwister-Scholl-Straße in Stuttgart Mitte zu finden ist. Hier treffe ich auf Norbert Becker, den Leiter des Universitätsarchivs, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die unzähligen Dokumente und Daten im Bestand des Universitätsarchivs zu verwalten. Jede große Universität hat ein Archiv, um seine Geschichte in Form von Akten und Unterlagen aus Verwaltung, Fachgruppen und Instituten festzuhalten. Nach dem Landesarchivgesetz dürfen Unterlagen in Baden-Württemberg nicht ohne Weiteres weggeworfen werden, sondern müssen an das zuständige Archiv abgegeben werden. Auch wenn die Arbeit eines Archivars aus weit mehr als einem verstaubten Keller voller Akten besteht, müssen wir doch einige Stufen hinabsteigen, um zu dem Raum zu gelangen, in welchem ein Karton neben dem Anderen in große Regale einsortiert ist.
Eine wunderbare Fundgrube
Über die Zeit sammelt sich so einiges an Dokumenten an: würde man alle Regalfächer nebeneinander stellen, so hätte man unfassbare 2100 Meter an Archivmaterial vor sich stehen. In den fein säuberlich beschrifteten Kisten verbergen sich hier Forschungsberichte, Projektakten, Protokolle von Gremien, Nachlässe von Professoren und Studierenden, Fotos und Plakate, Verwaltungsdokumente und allerlei andere Schätze aus der Universitätsgeschichte. Da kann ich zu Recht behaupten, dass ich einen Blick in das Gedächtnis der Uni Stuttgart werfen durfte, wie es Herrn Becker treffend ausgedrückt hat.
Die Arbeit eines Archivars
Zu den Hauptaufgaben des Archivs zählt das Sammeln, Archivieren und Dokumentieren von Akten aller Art. Dieses Sammeln geschieht jedoch stets im Hinblick auf die Nutzung, denn das Archiv ist eine Dienstleistungseinrichtung. So statten beispielsweise regelmäßig Kunst-, Architektur- oder Wissenschaftshistoriker*innen dem Archiv einen Besuch ab, die sich auf der Suche nach spannenden geschichtlichen Details durch die Papiermengen wälzen. Um diese Recherche zu erleichtern, bieten Becker und seine Kolleg*innen Beratung, wo entsprechende Informationen zu finden sein könnten. Auch bei einem verlorenen Zeugnis und anderen Rechtsnachweisen kann das Archiv weiterhelfen. In den Schränken des Archivs schlummern außerdem einige Studienarbeiten von ehemaligen Architekturstudierenden, wofür z.B. Interessierte das Archiv besuchen, um den Einfluss der Lehre auf das spätere Werk der Architekten und Architektinnen zu untersuchen. Neben der Sammlung erhaltenswerter Materialien in den Räumlichkeiten des Archivs existieren Onlinedatenbanken, die über Studierendenverzeichnisse, Vorlesungsverzeichnisse und die anderen Sammlungen des Archivs Auskunft geben.
Neben der Beratungstätigkeit für Besucher*innen des Archivs und der Auseinandersetzung mit den Fundstücken zieht der Leiter des Universitätsarchivs des Öfteren los, um alte Akten aus dem Besitz verschiedener Institutionen der Universität einzusammeln. Die Arbeit eines Archivars hat sich im Laufe der Jahre stark gewandelt, wo Becker in seiner Ausbildung noch lateinische Urkunden übersetzt hat, steht heute der Umgang mit Datenbanken im Vordergrund.
Die Zimelie des Universitätsarchivs – ein ganz besonderes Dokument
Auf meine Frage, was denn der größte Schatz des Universitätsarchivs (auch Zimelie genannt) ist, antwortet mir Herrn Becker mit einem Schmunzeln und beginnt, von einem besagten Herrn Fuchs zu erzählen, durch dessen Taten eines der bedeutsamsten Stücke im Archiv gelandet ist. Im Jahre 1944 gab es einen großen Brand auf dem Gelände des Campus Stadtmitte, durch welchen ein Großteil der Gebäude zerstört wurde. Herr Fuchs, zu diesem Zeitpunkt Mitarbeiter des Studiensekretariats, machte sich in Windeseile auf den Weg Richtung Campus als bald er von den Geschehnissen erfahren hatte. Nachdem die Mauern der Gebäude niedergebrannt waren, stapfte er zwischen den Trümmern hindurch, zog das durch Feuer und Rauch beschädigte Verzeichnis aller Studierenden heraus und sorgte damit dafür, dass auch noch heute nachvollzogen werden kann, wer in den Jahren 1829 bis 1932 an der Universität Stuttgart welches Fach studiert hat. Das Verzeichnis aller Studierenden wurde vor einigen Jahren restauriert und kann inzwischen online eingesehen werden.
Ab ins Archiv!
Das Universitätsarchiv ist ein öffentliches Archiv und damit für jeden Bürger und jede Bürgerin zugänglich. Für Becker ist ein Archiv eine zutiefst demokratische Institution, die Transparenz und Möglichkeiten zur Informationsgewinnung schafft. Falls Ihr also Interesse an Wissenschafts- und Architekturgeschichte habt oder in die Universitätsgeschichte in Form von Akten, Fotos, Nachlässen und Sammlungen abtauchen wollt, freut sich das Archiv über Eure Anfragen.
Anietta
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