Wer misst, misst Mist?

So spricht der Volksmund. Trotz allem stellen Messungen den einzigen Weg zu einer zuverlässigen Qualitätskontrolle dar und sind deshalb aus Technik und Produktion nicht wegzudenken. Damit man am Ende nicht den umgangssprachlichen Mist erhält, steht Messtechnik für die angehenden Ingenieure der Uni Stuttgart schon seit jeher auf dem Stundenplan.

Ein ganzes Semester werden Messverfahren gepaukt, aber anschließend im Praktikum auch selbstständig angewandt. Eine hilfreiche Übung für den erfolgreichen Abschluss einer experimentellen Bachelorarbeit!

Musterbeispiel der historischen Messtechnik: Orsat-Apparat.
Musterbeispiel der historischen Messtechnik: Orsat-Apparat.

Historical meets modern

Fünf Praktikumseinheiten à zwei Versuche – so präsentiert sich das Messtechnik-Praktikum. Dabei reicht die Versuchspalette von alltäglichen Größen, wie Temperatur und Druck, bis zu komplexen Verfahren, zum Beispiel zur Leistungbestimmung von Maschinen. Ebenso wird durch die Versuche eine enorme zeitliche Bandbreite abgedeckt. Mancher Versuch wird bereits seit Gründung des Labors nahezu unverändert durchgeführt. Dazu zählt unter anderem der Orsat-Apparat zur Analyse von Abgasbestandteilen. Längst von der modernen Fahrzeugprüfung ausgemustert, eignet er sich zum tiefgehenden Verständnis des Messverfahrens noch immer hervorragend. Kurz noch zur Funktionsweise: Die zu prüfende Gasmenge wird durch zwei mit Flüssigkeit gefüllte Gefäße geleitet. Im ersten befindet sich Kalilauge, mit der CO2 reagiert und ausfällt. Das Pyrogallol im zweiten Gefäß reagiert auf gleiche Weise mit O2. Somit lässt sich der Anteil an Sauerstoff und Kohlendioxid im Abgas ablesen. Auch Dehnungsmessstreifen sind ein altbekanntes, leicht zu verstehendes Verfahren. Aufgebracht auf ein belastetes Bauteil ändert sich der elektrische Widerstand und kann über den bereits seit dem Physikunterricht bekannten Zusammenhang U=R*I bestimmt werden. Jeder Dehnung ε lässt sich über die Beziehung ε=k*ΔR/R ein spezifischer Widerstand zuordnen.

Mit der Modernität hielten auch im Messlabor neue, sehr viel leistungsfähigere Verfahren Einzug. Inzwischen können kleinste Sensoren allerlei Werte sehr genau aufzeichnen. Die Umwandlung der elektrischen Signale in die gewünschte Messgröße geschieht direkt im Gerät, sodass am Ende nur noch der gewünschte Messwert auf der Anzeige abzulesen ist. Bei solch hochentwickelten Geräten ist der eigentliche Messvorgang schwer nachzuvollziehen, weswegen sich eine eventuell notwendige Fehlersuche ausgesprochen komplex gestaltet. Nichtdestotrotz gehört diesen Geräten die Zukunft. Daher lernen die Studenten sie im Praktikum natürlich ebenfalls kennen. Ein Beispiel hierfür ist die inzwischen allseits bekannte Thermographie, bei der Sensoren Wärmestrahlungen aufzeichnen und je nach Intensität in verschiedenen Farben abbilden. “Eine gelungene Mischung an Versuchen”, sind sich die Studierenden einig.

Thermographie – Rauchende Köpfe sichtbar machen.
Thermographie – Rauchende Köpfe sichtbar machen.

Liebgewonnene Tradition

Bereits seit mehr als 100 Jahren ist das Messtechnik-Praktikum integraler Bestandteil eines jeden Ingenieurs-Studiums. Ende des 19. Jahrhunderts erkannte Professor Carl von Bach die Bedeutung zuverlässiger Messungen und unternahm erste Schritte zum Aufbau eines Maschinenlaboratoriums. Aufgrund finanzieller Engpässe mussten manche Maschinen in Einzelteilen erworben und selbst zusammengebaut werden. Aber letztendlich konnten in den folgenden Jahren die Studenten der damals noch Königlich Technischen Hochschule zum ersten Mal praktisch arbeiten. Eine Premiere in der Stuttgarter Universitätslandschaft!

Seit damals hat sich allerdings viel verändert. Nicht nur, dass das Labor 1962 von Bad Cannstatt auf den Campus nach Vaihingen umzog. Ebenso wurde der gesamte Ablauf für die heutigen Studierenden stark vereinfacht. Mussten früher mehrseitige, aufwändige Auswertungen abgegeben werden, sind es heute nur noch einzelne Messwerte und Ergebnisse, die in das ausgegebene Skript einzutragen sind. Bedingt durch die gestiegenen Studierendenzahlen – das Praktikum durchlaufen inzwischen mehr als 500 Studierende pro Jahr – sind solch umfangreiche Protokolle inzwischen weder personell noch zeitlich durchführbar. “Gott sei Dank!”, wird sich so mancher Student denken. Ganz auf die Auswertung will man aber auch nicht verzichten. “Denn Messwerte ablesen alleine reicht nicht, die Ergebnisse müssen auch interpretiert und die Güte verschiedener Verfahren bewertet werden”, betont Dr. Gerhard Eyb, Leiter des Maschinenlaboratoriums.

Gleichstrommotor mit Wasserbremse zur Leistungsmessung.
Gleichstrommotor mit Wasserbremse zur Leistungsmessung.

Frischlinge vs. alte Hasen

Ähnlich vielfältig wie die Versuche präsentieren sich auch die Teilnehmer. Auf der einen Seite die Kybernetiker und NWT’ler: Noch ganz neu an der Uni blicken sie voller Spannung und etwas Nervosität ihrem ersten Praktikum entgegen. Auf der anderen Seite streben die abgeklärten Maschinenbauer und FMT’ler bereits dem Ende ihres Bachelor-Studiums entgegen. Nach einer ganzen Reihe verschiedener Praktika wissen sie genau, wieviel Aufwand zum Bestehen nötig ist. Nicht ganz einfach ist, es diese beiden Pole unter einen Hut zu bekommen. So sind zum Beispiel Schwingungs-Differentialgleichungen den älteren Semestern bereits hinreichend bekannt, für die anderen aber noch vollkommenes Neuland. Die Studierenden freuen sich allerdings: “Dadurch haben wir die Möglichkeit, mal über den Tellerrand unseres eigenen Fachgebiets hinauszuschauen.” Besonders weil die Versuche in Zweier- oder Vierer-Teams absolviert werden. Deren Betreuung übernehmen in erster Linie studentische Tutoren.

Einheitenkontrolle 

Rechnungen auf einem Blatt Papier
Einmaleins für Ingenieure.

Von Professoren immer wieder betont, von den Studenten trotzdem immer wieder vernachlässigt – das ist die Einheitenkontrolle. Zur Erklärung für alle Nicht-Naturwissenschaftler: auf beiden Seiten einer Gleichung müssen immer die gleichen Einheiten stehen. Ansonsten kann aus einem kleinen Rechenfehler schnell ein vollkommen unsinniges Ergebnis werden. Zur Vereinfachung hat man sich inzwischen auf einen internationalen Standard, die SI-Einheiten, geeinigt. Bei deren Verwendung ergibt sich automatisch die richtige Dimension. Allerdings werden die SI-Einheiten in der Praxis noch nicht überall eingesetzt. So wird Druck weiterhin hauptsächlich in Bar gemessen. Auch kleine Durchmesser sind so ein Thema: 18mm sind deutlich weniger umständlich als 0,018m. Für Ingenieure ist es daher unerlässlich, die jeweiligen Angaben in die richtige Einheit umzurechnen. Eyb erklärt: "Um die Studierenden auf zukünftige Einsätze in Industrie und Wissenschaft vorzubereiten, verwenden wir im Praktikum die allgemein üblichen Einheiten.”

Sylvia

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